Artikel von Anton Baumeister
Wiederholung ist ein Lebensgesetz – es prägt auch die Literatur: Den Kinderreim ebenso wie hohe lyrische Kunstformen, epische Grundmuster wie die wiederkehrenden Themen großer Erzähler. In den Unterhaltungsmedien unserer Zeit findet sich die Wiederholung in einer bevorzugten Form der Serie. Fortsetzungsromane und Comics, Westernhefte und vielbändige Romane aus Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Hörfunkbeiträge, Ratespiele, Kinofilme und Fernsehfolgen belegen diese Feststellung. Sie machen aber auch eine Zwiespältigkeit deutlich: kaum ein Leser, Hörer oder Zuschauer vermag sich der Anziehungskraft abgewandelter Wiederholungen zu entziehen, aber oft genug mischt sich kritisches Unbehagen in einen Genuss, der ungern zugegeben wird.
Wertvolle Serien? Eher bezeichnet man so etwas als mehr oder weniger unvermeidliches Erzeugnis zur Befriedigung von Bedürfnissen. Kunst sollte einmalig sein, nicht wiederholbar.
Dieser strenge Maßstab einerseits, die geringe Bewertung des Typus Serie andererseits gilt bei der Kinder- und Jugendliteratur noch verstärkt. Oft findet man hier sogar eine Voreingenommenheit, die den Serien überhaupt beachtliche Werte abspricht; nicht einmal unverständlich angesichts einzelner Reihen, die im Laufe der Jahre und Erfolge zu bloßen Hülsen erstarrten. Doch kann man leicht nachweisen, daß die meisten Serien besser sind als der Ruf, der dem Typus anhaftet. Beispiele bieten die Programme aller Jugendbuchverlage, die planmäßig arbeiten.
Beim Verlag Herder, der vom ersten Gründungsjahr an Kinderbücher herausbrachte, läßt sich das Thema gut verdeutlichen. Im Jahre 1971 wurde eine neue Serie gestartet, die „Weltraumpartisanen“ von und mit Mark Brandis. Auch hier der Versuch, einen bekannten und literarisch eher gering geschätzten Buchtyp mit Sinn und Gehalt zu füllen: die populäre utopische Erzählung.
Bei Mark Brandis spielen neben den unglaublichen Einfällen, die großen Probleme für die Zukunft der Menschheit eine besondere Rolle, sei es schrankenlose Machtausübung, Lagerung von Atommüll, Geburtenplanung oder militaristisches Denken. Die Serie, ursprünglich nur auf vier Bände hin angelegt, dann aber in Vierergruppen fortschreitend, steht inzwischen unmittelbar vor Band 20. Es sieht aus, als würden die Leser auf dem Fortgang der Geschichte bestehen.
Dabei ereignet sich der merkwürdige Vorgang, daß der Autor älter wird: daß jedes Jahr jüngere Leser nachwachsen; daß aber der Held selbst wie Odysseus trotz aller Abenteuer und Irrfahrten nicht altert. Hier verbindet sich auf unterirdischen Strömen die Romanserie von heute mit dem Epos von gestern. Der gemeinsame Nenner ist der Erzähler, der, wann immer er zu erzählen beginnt, mit seiner Geschichte am liebsten kein Ende findet. Deshalb gibt es auch so viele geniale Anfangssätze – und ebensoviele Abschlüsse, die man gleich wieder vergißt. Mark Brandis beginnt so: „Aus einem fremden, feindlichen Himmel kehrst du heim in die Welt der Menschen.“ Der Schlußsatz ist nicht abzusehen.
Die jüngste Abenteuerserie bei Herder heißt Kennwort P und stammt von Nick Norden. Eigentlich sollte sie so etwas wie ein literarischer Stafettenlauf werden: der Held der ersten Erzählung sollte am Ende die Hauptfigur der nächsten Geschichte vorstellen und ihr den Handlungsfaden überlassen, um so ein einheitliches Grundmuster mit dauernd wechselnden Personen und Problemen zu ermöglichen. Bei den Problemen sollte der Erzähler solche Gegenstände verarbeiten, die heute aufkeimen und morgen überwältigend da sind; mangelnde Infrastruktur der Großstädte (Band 1; Kalkutta mit seiner Wasserversorgung), die Gefahren des Atommülls (Band 2: ein Transportschiff strandet im militärischen Krisengebiet), technische Großleistungen unter unberechenbarem Druck der Elemente (Band 3: Nilstaudamm birst durch Erdbeben), Hungersnot und politische Zwänge (Band 4: Dürrekatastrophe). Inzwischen hat die Hauptfigur „Farmer“ Eigenleben entwickelt und ist nach dem unvermerkten Abschied in Band 1 wieder auf die erzählerische Bühne zurückgekehrt, ein „Held wider Willen“, dessen Biographie sogar recht dunkle Flecken aufweist.
Er lässt sich von der fiktiven „Gesellschaft für positives Handeln“ dort einsetzen, wo nicht mehr die Macht der Apparate, sondern Mut und Bereitschaft des Einzelnen gefragt sind. Zugleich machen die Erzählungen auf Existenzfragen der Welt von heute aufmerksam, die täglich mehr von Unfällen mit unabsehbaren Folgen bedroht ist als Folge unbedachter Planung oder kurzsichtiger Maßnahmen zu Lasten der Zukunft, Losungen kann der Autor nicht anbieten, aber er kann seine Leser empfindlich machen für Probleme, die nicht ungelöst bleiben dürfen. Das erzählerische Unternehmen bekommt apokalyptische Züge.
Damit wiederholt sich etwas, was bereits in den zwanziger Jahren bei Wilhelm Mathießens Abenteuergeschichten in den Bergen Tibets ablesbar war – Jugendliteratur als Zeichen der Zeit. Wenn ihre Signale Betroffenheit auslösen, leistet sie viel.
Anton Baumeister