Artikel zur Entstehung (erster Teil)

Von denen, die auszogen, Mark Brandis zu vertonen — erster Teil

Ein Artikel aus der Phantastik-News vom April 2008 (RS: Regina Schleheck / JCR: Jochim-C. Redeker / BvW: Balthasar v. Weymarn)

Was hat ihn von anderen Autoren, mit denen du gearbeitet hast, unterschieden?
Sein verblüffender Ideenreichtum. Jedes Stück war ein neuer Knaller! Er war unglaublich innovativ. Nur wenige Autoren beherrschen die Kunst des Dialogs. Der Dialog trägt das Hörspiel ja, die Geschichte wird nur über ihn vermittelt, über die Stimme, die Geräusche. Dabei müssen die Dialoge authentisch sein. Sie dürfen nicht erklären wollen, was der Hörer nicht sieht. Die Personen müssen genau so reden, wie sie in der jeweiligen Situation miteinander reden würden. Nicht für den Hörer. Und trotzdem muss der Hörer verstehen können, was da abgeht. Er muss sich seine eigene Bühne im Kopf bauen können. Nikolai von Michalewsky hat das Medium Radio zu absolut neuen Dimensionen entwickelt.
— Interview RS mit Klaus Woller, WDR-Redakteur i. R.

Etwa 500 Hörspiele und Features hat Nikolai von Michalewsky für die ARD und hier hauptsächlich für den WDR geschrieben. Dies mag auch dem, der nie eines davon gehört hat, als Beleg gelten, dass er wohl sein Handwerk verstand und Erfolg hatte.

Unter dem Pseudonym Mark Brandis hatte von Michalewsky zwischen 1969 und 1987 die Aben­teuer des gleichnamigen Raumschiffcommanders im 21. Jahrhundert für den Herder-Verlag geschrieben. Die Reihe wurde von Band zu Band verlängert; jedes Mal wurde anhand der Ver­kaufszahlen entschieden, ob es weitergehen sollte. Diese Zahlen kennen wir nicht, aber 31 Mal fiel diese Entscheidung positiv aus. Selbst für jemanden, der nie eines der Bücher gelesen hat, wäre es nicht allzu gewagt, daraus zu schließen, dass er auch dieses Handwerk verstand und Erfolg hatte.

Die erfolgreichste deutsche SF-Buchserie (nach Perry Rhodan) von einem der besten Hörspiel­autoren der Nachkriegszeit in Hörspielform umgesetzt? Wäre doch eigentlich das gewesen, was man neudeutsch einen „no-brainer“ nennt; eine vollkommen logische Kombination? Und dennoch kamen diese zwei Erfolgsgeschichten nie zusammen.

Nicht dass von Michalewsky nicht bereit gewesen wäre zu einem solchen Unternehmen:

Auszug Brief NvM an BvW, 3.8.95

Auszug Brief NvM an BvW, 3.8.95

BvW: „Aber 1995 war die Zeit noch nicht reif. Mit der Idee einer vierteiligen Hörspielserie auf der Grundlage der ersten vier Bände Mark Brandis, geschrieben von Nikolai v. Michalewsky selbst, stieß ich bei den Verlagen auf taube Ohren. Die Option „einfach selbst produzieren“ stand mir damals noch nicht offen. Ein Jahr nach diesem Schreiben gab ich es auf und kümmerte mich wieder mehr um mein Theaterwissenschafts- und später Filmstudium. Die Haltung der Verlage würde sich ja sicher ändern. In ein paar Jahren. Es war ja noch so viel Zeit für diese Dinge – in der Zukunft.

FÜNF JAHRE SPÄTER war diese Zukunft Vergangenheit. Kurz nach Weihnachten 2000 war Nikolai v. Michalewsky gestorben. DREI JAHRE ZUVOR hatte es wieder Mark Brandis–Bücher gegeben, je zwei in einem Band, als „Doppeldecker“-Taschenbücher im Omnibus-Verlag. ZWEI JAHRE ZUVOR war der Autorzum ersten Mal in seinem Leben Guest Of Honor gewesen, bei den 10. SF-Tagen NRW. Und EIN JAHR ZUVOR war markbrandis.de als offizielle Website zum ersten Mal online.


2005, weitere fünf Jahre später, hatte sich die Zeit verändert. Zusammen mit Jochim Redeker hatte ich ein Kon­zept ausgearbeitet und ein achtminütiges Demo produziert, mit dem wir beide nun, im Sommer 2005, im Teufelsmoor bei Reinhild v. Michalewsky im Garten saßen und diskutierten. Was darf man ändern, was kürzen? Wie kann und soll ein Mark Brandis – Hörspiel klingen? Wer soll es sprechen? Wie wichtig ist die Musik? Wer wird daran Interesse haben? Wer würde es auf den Markt bringen? Wer wird es schreiben?

Für Jochim und mich war eines klar: unser Konzept für die Umsetzung stand nicht zur Diskussion. Wenn wir schon alles aus eigener Tasche finanzieren würden, dann nur für eine Produktion, auf die wir als Fans der Bücher selbst stolz sein könnten. Wir mussten damit rechnen, dass sich auch diesmal kein Verlag finden würde. Trotzdem und deswegen: kein Erzähler / Konzentration auf die Perspektive der Hauptfigur Mark Brandis / Breitwand auf der Tonspur / Modernisierungen behut­sam / alle Hauptrollen Profisprecher, in einem Profistudio aufgezeichnet. Ohne das – kein Hörspiel.

Zum Glück deckte sich das exakt mit Reinhild v. Michalewskys Vision – und zwei Monate später hatten wir einen Vorvertrag … samt einer Empfehlung für eine Hörspielautorin: Regina Schleheck.“

RS: „Als Klaus Woller mir erzählte, er habe Reinhild von Michalewsky auf ihre Frage, wen er als Hörspielautor empfehle, meinen Namen genannt, muss meine Reaktion ähnlich ausgefallen sein wie die Nikolai von Michalewskys, als er vom Herder-Verlag angesprochen wurde: Science Fiction? Ich?
Nun muss man in meinem Fall sicherlich mildernde Umstände gelten lassen. Man hat mir als Mädchen dergleichen Anfang der 70er Jahre nicht auf den Nachttisch gelegt. Das höchste der Gefühle war Karl May. Den ich allerdings monatelang heimlich im Unterricht weiter las. – Aber Science Fiction? Mir schwante etwas von Aliens, Superhelden, Technobabbel und meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Dann las ich die ersten beiden Bände der „Delta VII“ und war infiziert: „spannend er­zählt, gut aufgebaut, die Personen authentisch, mit Macken und Entwicklungsmöglichkeiten, und mit einem Grundanliegen, das jenseits einer Hau-Drauf-Action-Fantasy angesiedelt ist. Die Erzählungen sind dialogstark und die Schnitte wie geschaffen für eine Umsetzung in ein Hörspiel oder auch in einen Film. Es juckt mich richtig in den Fingern.“ So meine erste Rückmeldung an Reinhild v. Michalewsky.

Delta7 (skizziert von BvW)

Delta7 (skizziert von BvW)


Beim Treffen mit Balthasar im „Campi“ im WDR Köln wurden die elementarsten Fragen zur Delta VII auf einem Schmierzettel geklärt: Wie muss ich mir so ein Teil überhaupt vorstellen? Welche Räume eröffnet es? Wie bewegt man sich darin? Als Hörspielautor muss ich szenisch denken. Die Geschichte wird nicht erzählt, sondern findet statt. Rechts mein erster Anker, von Balthasar verfertigt. Zurückgekehrt an den Schreibtisch wurde das Buch wieder aufgeklappt. Nikolai von Michalewsky ist ein Meister der epischen Kunst.

„Aus einem fremden, feindlichen Himmel kehrst du heim in die Welt der Menschen. Aber du warst schon so lange und so weit von ihr fort, und darum weißt du nicht einmal, ob deine Heimkehr dich freut oder dich schmerzt. Fast ist sie dir gleichgültig und nur deine Disziplin lässt dich den Kurs unverändert weitersteuern, den du dir vor langer, langer Zeit er­rechnen ließest – draußen, in der grenzenlosen Leere, im kalten Licht nie betretener Sterne.“

So geht es los und so zieht es sich durch das ganze Buch. Wie soll man dieses Gefühl akustisch darstellen? Diese Atmosphäre hörbar machen? Wir wollten ein reines Hörspiel, kein Hörbuch pro­duzieren. Das hieß auf die Krücke des Erzählers verzichten, der dem Hörer erzählt, was dieser nicht sehen kann. Ein Hörspiel kann nicht leisten, was eine Erzählung zustande bringt. Da bleibt einiges auf der Strecke. Zum Glück gilt das auch umgekehrt. Die Authentizität, für die ein gutes Hörspiel sorgt, muss man sich im Buch erst erlesen und im Kopf selbst konstruieren. Also: Buch zu, Augen zu, den Film im Kopf abspulen!
Das war der erste Knackpunkt.

Andere Fragen ließen bei uns wochenlang die Drähte glühen:

  • Wie dampft man ein komplexes Geschehen auf gehörte sechzig Minuten ein?
  • Wie reduziere ich die Figuren auf das Maximum einer Handvoll Sprecher, die das Ohr akustisch einigermaßen ausein­ander halten kann?
  • Wie lässt sich das Szenario behutsam an das dritte Jahrtausend angleichen?
  • Wie sind die Hörer gestrickt, die wir mit diesen Reißer der 70er über dreißig Jahre später (wieder) vom Hocker hauen wollen? Der Spagat zwischen den alten Fans und heutigen Jugendlichen ziep­te mächtig. Müsste die VEGA nicht MEGA heißen? Wer käme heute noch auf die Idee sich der Schwefelhölle der Venus auszusetzen, wo die Tourismusbranche bereits Pauschalurlaube auf dem Mars in den Fokus nimmt? Sinnbild der Liebe versus Kriegsgott?
  • Oder: Stell dir vor, du sitzt im Auto und schiebst ein Hörspiel-Abenteuer des 22. Jahrhunderts rein, in dem der Held im Zwei­finger-Suchsystem Nachrichten an die Erde in die Tasten des Bordcomputers haut, während dein eigener Bordcomputer (Navi) just dazwischen quakt: „Bei der nächsten Gelegenheit rechts ab­fahren!“ Schon ein bisschen abgefahren, oder?

Also her mit dem sprechenden Bordcomputer, dem weiblichen Major, weg mit der Anode – aber Ducken nicht vergessen: Prügel sind vorprogrammiert!
Fazit: In allen Fragen hatte Professor Westhoff das letzte Wort: „Bei einem Teamwork ist jeder auf jeden angewiesen.“ Ich ergänze: Es war mir ein Vergnügen, meine Herren!“

BvW: „Im Frühjahr 2006 hatten wir mit der dritten Fassung ein Hörspielbuch, das uns gefiel und das wir im Sommer in Hamburg aufzeichneten. Eine inspirierte und engagierte Truppe von Sprechern fand sich im TonSynchron Studio Thomas Weichlers ein und lieferte Jochim und mir innerhalb von 1½ Tagen Arbeit für ein halbes Jahr. Welche der vielen Takes sind wirklich die besten? Alles musste definiert und erfunden werden: wie lange läuft man von einem Ende der Delta VII zum anderen? Wie funktioniert die künstliche Schwerkraft? Werden Computer jedes Mal neu programmiert? Wie klingt das Schiff? Die ganze Welt des Mark Brandis brauchte eigene, un­verwechselbare Klänge, die unverbraucht, aber vertraut klingen sollten. Jochim, der neben seinem Heimstudio gut 25 Synthesizer und Keyboards sein eigen nennt, komponierte die Musik mit Blick auf SF-Traditionen zwischen John Williams und Vangelis.“

JCR: „In der Musik habe ich den handelnden Figuren eigene Themen zugeordnet. Das ist zwar eher ein Merkmal von Filmmusik, dient aber dem Zweck, den „Widescreen“-Charakter der Geschichte zu vertiefen. Darüber hinaus erhoffe ich mir eine leichtere Identifikation für die Hörer. Es existieren z.B. Themen für Mark Brandis (Titelmelodie) und Ruth O’Hara, die in abgewandelter Form immer wieder auftauchen. Weitere Musiken kommen in den nächsten Folgen zum Tragen, wie beispielsweise ein Delta VII-Thema, Interplanar XII, Reinigende Flamme und VOR. Da sich dem Genre der Science Fiction sowohl orchestrale als auch elektronische Klänge zuordnen lassen, findet man hier eine Mischung aus beidem. Ein gewisses Maß an Klischeehaftigkeit dient dabei als Würze und ist durchaus beabsichtigt.
Das Hauptthema lief durch viele Entwicklungsstufen und war anfangs noch gar nicht für das Hör­spiel gedacht. Ein Freund stieß mich dann mit der Nase darauf. Die Melodie lässt sich wunderbar als Zitat überall einbauen, da sie in den ersten zwei Takten keinen Tonartwechsel aufweist.“

BvW: „Im Januar 2007, das Hörspiel war zu 95% fertig, hatten wir auf einmal einen Verlag: stein­bach sprechende bücher riskierte es, zum ersten Mal in der gut dreißigjährigen Verlagsgeschichte, ein Hörspiel ins Programm zu nehmen, das auf eine Serie ausgelegt war. Die Chemie stimmte gleich. Uns gefiel das große Vertrauen, das sie uns entgegenbrachten: nicht nur waren sie mit dem Hörspiel einverstanden, sie folgten unserem Wunsch und verließen sich darauf, dass wir auch mit dem Design und der Auswahl der Titelgrafik das richtige Händchen für die richtigen Menschen haben würden.

Robert Andrés Tuschezeichnungen, die auf und in der Mark-Brandis-Buchreihe zu finden sind, haben die Vorstellungswelt der Leser natürlich geprägt. In klaren Primärfarben koloriert transportierten die Bilder eine Zukunftswelt, die immer den Mensch in Interaktion mit der Technik zeigte. Jetzt standen wir da mit einem schwierigen Erbe: wie kann das Cover vermitteln, dass hier ein Hörspiel im klas­sischen Sinne auf der Grundlage eines fast vierzigjährigen Stoffes trotzdem modern daherkommt? Die Lösung lag in photorealistischer CGI-Art, einer Kunstrichtung, die über dem großen Teich schon weit entwickelt ist und hierzulande auch langsam Boden gewinnt. Das Artwork für Folge 2 hat dann Alexander Preuss speziell für uns kreiert.

Im Mai 2007 kam Folge 1 auf den Markt. Und siehe da, allen Unkenrufen zum Trotz: es gab sie noch, die Fans von Mark Brandis, die damals die Bücher in den Bibliotheken zu Ausleihhits ge­macht hatten ― und die ersten neuen Fans meldeten sich zu Wort. Langsam sprach es sich herum. Die Kritiken in HörBücher, TV Movie, Space View und phantastisch!, sowie im Internet in phantastik-news, SF-Radio, Andromeda, Corona und den sehr aktiven Hörspielforen und -rezen­sionsseiten fielen erfreulicherweise positiv aus. Die kleine, für ein Jahr veranschlagte Erstauflage war nach drei Monaten ausverkauft, es musste nachgepresst werden.

Und im September 2007 meldete der Verlag Inter­esse an einer zweiten Folge an. Eine harte Kalku­lation verlangte, dass wir, wenn wir als Produzen­ten je aus den roten Zahlen wollten, Folge 2 mit 2/3 des Budgets von Folge 1 realisieren müssten. Das sollte heißen: Buch selbst schreiben, Studio­zeit trotz geschätzt 15 Minuten mehr Laufzeit nicht verlängern und generell häufiger mal Knäckebrot essen. Das haben wir mit einem guten Schuss freundlichen Selbstbetrugs auch geschafft, und wir glauben, dass wir im hörbaren Ergebnis das Niveau mit „Verrat auf der Venus“ zumindest gehal­ten haben.

Jochim und ich haben zwar auch jetzt noch keinen Vertrag, der uns finanziell absichert. Aber es macht einfach Spaß, Mark Brandis zu produzieren! So viel Spaß, dass wir jetzt beschlossen haben, zu­mindest die ersten vier Bände zu machen ― wie bisher nebenberuflich und wie’s aussieht weiter mit eigenem Geld. Danach entscheiden die Zahlen.“

–> zweiter Teil

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